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– Im Gespräch: Lothar de Mazière –
"Das war ein Gefühl von Verrat"
Wie ein DDR-Bürger lernte, mit der Mauer zu leben - Rückblick auf eine Zeit der Trennungen
Lothar de Mazière, Jahrgang 1940, stammt aus alter Hugenottenfamilie. Seinen ersten Beruf als Bratschist mußte er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben; nach einem späten Jura-Studium an der Ostberliner Humboldt-Universität arbeitete er ab 1976 als Rechtsanwalt in der väterlichen Kanzlei Berlin-Friedrichstraße. Zu seinen Mandanten zählten Kriegsdienstverweigerer und DDR-Bürger, die in die Bundesrepublik ausreisen wollten. Von 1985 bis 1990 war de Maizière Mitglied der Bundessynode der Evangelischen Kirche. Seit 1956 (weitgehend passives) Mitglied der DDR-CDU, katapultierte ihn die Wendezeit in die erste politische Reihe: Als Spitzenkandidat einer konservativen Parteienallianz gewann de Maizière die freien Volkskammerwahlen 1990 und wurde am 12. April Ministerpräsident. Unter seiner Führung betrieb eine große Koalition die weitere Demokratisierung der DDR und ermöglichte die Vereinigung mit Westdeutschland. Nach dem 3. Oktober 1991 war er zeitweise Bundesminister und stellvertretender CDU-Vorsitzender. Anklagen und Veröffentlichungen über eine Stasi-Mitarbeit sowie Kritik an seiner Parteiführung in den neuen Ländern bewogen de Maizière im September 1991 zum weitgehenden Rückzug aus der Politik. Er arbeitet heute wieder als Rechtsanwalt in Berlin-Mitte.
Herr de Maizière, wer in diesen Tagen durch Berlin-Mitte spaziert, der bekommt langsam eine Ahnung, daß dort tatsächlich nach und nach das alte Zentrum einer europäischen Metropole wiederaufersteht. Geht Ihnen da als altem Berliner nicht das Herz auf?
Lothar de Maizière: Ich hab' zu Hause ein Video, das junge Leute aus dem kirchlichen Bereich im Frühjahr 1989 vom alten Scheunenviertel hier in Berlin gedreht haben. Das zeigt einfach nur ohne Kommentar die schönen alten Fassaden, hoffnungslos verfallen und heruntergekommen. Dieses Video hat mich immer tief bewegt. Kürzlich bin ich nun durch die Straßen spaziert und hab' festgestellt, daß heute keines dieser hoffnungslosen Bilder von damals noch zu finden ist. Und das macht mich wirklich sehr froh. Noch schöner wäre es allerdings, wenn die Architekten nicht überall ihrem Einheitsstil frönen würden.
Sie sind in Berlin-Mitte groß geworden. Was überwiegt - das Gefühl, wieder in der ungeteilten Heimatstadt zu leben? Oder wächst dort etwas ganz Neues?
de Maizière: Berlin wird wieder eins. Das ist das wichtigste. Allerdings muß ich zugeben, daß ich bei Fahrten nach Wilmersdorf oder Charlottenburg immer noch denke: Jetzt fahr' ich nach drüben. Das geht den Leuten andersrum aber genauso. Im übrigen sind die dicksten Staus im Berliner Straßenverkehr weiterhin da, wo früher die Grenzübergangsstellen waren
Acht Jahre nach 1989?
de Maizière: Ich bitte Sie, was sind in diesem Zusammenhang schon acht Jahre? Die Schwierigkeit ist doch folgende: Normalerweise wachsen Städte von innen nach außen. Berlin aber muß seine Mitte neu finden und schaffen.
Eine Mitte, die ab dem 13. August 1961 nach drei Seiten hin abgesperrt wurde. Wen hat die Mauer eigentlich von wem getrennt?
de Maizière: Letztlich hat die Mauer die Westdeutschen von den Ostdeutschen getrennt, jedenfalls ungleich stärker als umgekehrt. Daraus erklärt sich auch ein Teil des mentalen Frustes, den wir heute in Ostdeutschland registrieren müssen. Die alte Bundesrepublik ist über die Jahre nach und nach ein Gebilde geworden, das in sich geruht hat, das den Osten nicht mehr brauchte. Die Ostdeutschen dagegen lebten praktisch immer mit einem Bein im Westen. Bis 1961 ganz real und danach jeden Abend ideell vorm Fernseher.
Sie selbst, Herr de Maizière, waren damals 21 Jahre alt, ein junger Musikstudent. Wie haben Sie jene Tage in Erinnerung?
de Maizière: Für mich war Berlin trotz aller Einschränkungen immer noch eine offene Stadt gewesen. Ich hatte Freunde in Westberlin, hab' dort im RIAS-Jugendorchester musiziert. Am 13. August selbst hab' ich gedacht: Das ist Quatsch. Das geht nicht. Man kann die Stadt nicht einfach teilen. Ich dachte, daß die Sowjets das höchstens vier Wochen durchhalten. Dann nach ein paar Tagen kam das erste Stutzen: Die Westalliierten lassen sich auf das Spiel ein! Die nahmen offenbar hin, daß man sie praktisch einmauerte. Und dann die Gewißheit, daß der Westen vorher von der Aktion gewußt haben muß. Da bestimmte mich dann das Gefühl, ganz eklatant verraten worden zu sein.
Empörung?
de Maizière: Nein, das wäre zuviel gesagt. Im Grunde war das alles über Wochen, Monate, ja Jahre ein schleichender Prozeß. Man gewöhnte sich an den Zustand. Gerade als Künstler tröstete ich mich mit der Erkenntnis, daß Brahms in Hamburg auch nicht schöner gespielt wird als in Berlin. Das war halt ein bißchen Elfenbeinturm.
Das klingt alles nach unspektakulärem Alltag!
de Maizière: Ja, so war es bei mir auch. Natürlich war die Mauer dramatisch. Aber für mein persönliches politisches Empfinden war ein ganz anderes Ereignis viel entscheidender. Das war der 21. August 1968.
. . . der Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag, das Ende des Prager Frühlings.
de Maizière: Das hat, so glaube ich, die Intellektuellen meiner Generation viel tiefer geprägt. Die Mauer war halt da und machte das Leben unangenehm. Zum Beispiel, weil man die Westverwandtschaft anbetteln mußte, das eine oder andere Buch mitzubringen. Aber die Zerschlagung des Prager Frühlings, der ja eine sehr intellektuelle Bewegung gewesen war, das erschütterte mich tief. Ich wußte, okay, die Mauer macht unser Land zu. Aber 1968 wurde im Schloß der Schlüssel noch ein zweites und drittes Mal umgedreht. Die Lage bekam plötzlich das Merkmal des Unendlichen.
Hat Sie das gelähmt?
de Maizière: Das hat mich zumindest geprägt. Als sich Ende der siebziger Jahre die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 in der HSSR zu Wort meldete, als 1980 Solidarnoaa in Polen aufkam, da hab' ich das mit Sympathie gehört und doch lange, lange Zeit gedacht: Narren! Die haben's immer noch nicht begriffen! Dieses Gefühl der Lähmung brach erst auf, als das ZK-Plenum in Moskau 1985 Gorbatschow wählte.
Von 1968 bis 1985 - das ist eine lange Zeit, vor allem, wenn in ihr, wie Sie so schön sagen, das Gefühl der Unendlichkeit herrscht. Welche Rolle spielt da die Ostpolitik der siebziger Jahre? Hat sie die Trennungen nicht weitaus erträglicher gemacht? de Maizière: Diese Politik hatte für uns immer zwei Gesichter. Da war zum einen der völlig richtige Ansatz, die Grenzen durchlässiger zu machen, ins Gespräch zu kommen, Kontakte neu zu knüpfen. Dies alles beobachtete man, freute sich an den kleinen Schritten, konnte es intellektuell akzeptieren - um doch auf der anderen Seite ganz emotional zu fragen: Warum lassen die sich mit diesen Verbrechern ein? Es gab einfach einige Leute in der Führung, bei denen ich dachte, nein, mit denen spricht man nicht. Der Kurt Hager zum Beispiel, der SED-Chefideologe, der nun wirklich im künstlerischen und intellektuellen Bereich jeden Anflug von Liberalität stets im Keim erstickte. Aber natürlich war mir klar, daß die Entspannungspolitik in den siebziger Jahren insgesamt der einzige Weg war.
Zumindest muß man doch bilanzieren, daß sie geholfen hat, die lange Periode der Trennung zu überbrücken!
de Maizière: Ja, selbstverständlich. Wie hätte es denn an der innerdeutschen Grenze ohne all die Erleichterungen ausgesehen! Wie übersteht man Zeiten der Repression? Indem man sich und anderen Hoffnung macht. Und die Entspannungspolitik hat Hoffnung produziert.
Auch jene Hoffnung, alle Trennungen eines Tages ganz wieder überwinden zu können?de Maizière: Ja und nein. Dem Wunsch nach Selbständigkeit der DDR mußte Bonn ja manches Zugeständnis machen. Bis 1969 unterhielt man das Gesamtdeutsche Institut. Das wurde dann aufgelöst. Und als die Vereinigung 1990 anstand, da fand sich nirgendwo und in keiner Schublade irgendein Plan für den Tag X.
So betrachtet hätte es die Trennung geradezu vertieft!
de Maizière: Ach, wissen Sie, wir müssen endlich lernen, einen ganz wichtigen Unterschied zu machen. Das eine ist, wie wir das damals aktuell empfunden haben. Und das andere, wie wir das jetzt im nachhinein beurteilen, im Wissen um das, was später alles geschah. Was müssen wir kirchlich engagierte Menschen uns jetzt im nachhinein die Formel von der Kirche im Sozialismus um die Ohren hauen lassen! Das wäre doch alles Verrat gewesen und Anpassung und ich weiß nicht was. Diese Kritiker sollen sich doch mal bitte ehrlich zurückerinnern! Wenn wir damals Westbesuch bekamen, dann hat der erst mal regelmäßig zwei Stunden beschrieben, wie schrecklich es wieder an der Grenze war und wie ihnen bei der Fahrzeugkontrolle die Knie gezittert haben. Und die wollen uns heute nun vom sicheren Port der neunziger Jahre aus erzählen, wie mutig wir hätten gewesen sein sollen! Wir hatten dieses System aber 365 Tage im Jahr um uns!
Sie wurden 1985 in die Bundessynode der Evangelischen Kirche der DDR berufen, 1986 zu deren Vizepräses gewählt. Welche Bedeutung hatte das für Sie?
de Maizière: Das hatte vielerlei Bedeutung. Vor allem aber eine ganz praktische: Es war ein Schutz für mich. Seit 1979 habe ich auf Wunsch der brandenburgischen Kirche immer häufiger Bürgerrechtler, Oppositionelle, Dissidenten vertreten; erst arbeitsrechtlich, später auch strafrechtlich. Das machte mich natürlich auch zu einem gewissen Grad angreifbar. Und dann die Wahl Anfang 1986. Ich weiß noch, wie nachts um halb eins das Telefon klingelte und Gregor Gysi dran war, der ja als Anwalt ähnlich engagiert war wie ich. Der sagte: Jetzt bist du unanfechtbar! Einen einfachen Anwalt de Maizière hätte man vielleicht noch belangen können. Einen Vizepräses der Bundessynode nicht mehr. Im übrigen hat mich dieses Engagement nach und nach in die Politik gebracht, denn Ende der achtziger Jahre entwickelte sich die Bundessynode ja zu so etwas wie einem Ersatzparlament.
Herr de Maizière, wann wurde Ihnen deutlich, daß die Trennungen zwischen West- und Ostdeutschen tiefer sind und länger wirken als 1990 vermutet?
de Maizière: Das ist mir schon 1990 deutlich geworden. Und zwar in dem Augenblick, als klar war, daß wir in der DDR nicht mehr die Zeit haben würden, uns über unsere Identität zu verständigen, also über das, was wir in die Gemeinschaft mit den Westdeutschen selbstbewußt hätten einbringen können.
Aber dann wäre alles ja noch komplizierter geworden!
de Maizière: Keineswegs. Ich habe mal einen Freund in Prag gefragt, warum die Menschen dort auf der Straße oft glücklicher aussehen als in Ostberlin. Und der hat geantwortet: Wir Prager vergleichen unsere heutige Lage mit der von früher. Ihr Ostdeutschen vergleicht euch mit den Westdeutschen. Wir Prager haben uns gewandelt. Ihr seid gewandelt worden
Wann werden wir die Trennung überwunden haben?
de Maizière: Als Christenmensch kann ich nur zur Geduld raten. Das Volk Israel ist schließlich vierzig Jahre durch die Wüste marschiert. Im übrigen hat Gemeinschaft nicht unbedingt was mit der Gleichheit des Besitzes zu tun. Wohl aber mit der Gleichheit in der Frage, was den Menschen zugemutet wird. Und es ist in Deutschland leider so, daß einem Bergarbeiter in Anhalt weiterhin mehr zugemutet wird als im Ruhrgebiet.
Es gibt Trennungen, die Sie selbst niemals akzeptieren mochten. Das hat Ihnen, wie Sie mal an anderer Stelle sagten, den Ausstieg aus der Bonner Politik durchaus erleichtert. So ließen Sie es sich beispielsweise nie nehmen, in der Bundestagskantine mit Gregor Gysi beisammenzusitzen, obwohl es Fraktionskollegen gab, die das gar nicht gern sahen.
de Maizière: Ich habe mit meinem Anwaltskollegen Gregor Gysi zu DDR-Zeiten manchen schweren Fall durchgestanden. Wir haben uns nach der Wende in die Hand versprochen, uns niemals persönlich zu attackieren. Sie werden doch nicht glauben, daß ich aus irgendeinem politischen Kalkül heraus dieses Versprechen brechen werde!
Herr de Maizière, es ist müßig, einen engagierten Reformierten wie Sie zu fragen, was ihm Kirche bedeutet. Indes: Wohin muß es Ihrer Meinung nach mit der Kirche gehen?
de Maizière: Ein Tisch steht am stabilsten nicht etwa auf vier, sondern auf drei Beinen. Und so muß auch die Kirche drei Standbeine haben: Tradition, Institution und Aktion. Auf keines darf sie verzichten
Die Fragen stellte Tim Schleider
©DS - Das Sonntagsblatt,
7. November 1997, Nr. 45/1997
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Nooit zullen we het waarom begrijpen. Het leven heeft een eigen plan. Met al dat lacht en ademt. Daar was Paul een deeltje van.
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